Werbung trifft Ethik: Wie weit darf Provokation gehen?

Werbung trifft Ethik: Wie weit darf Provokation gehen?

Bild:  puhhha – Getty Images (Canva)

Werbung ist allgegenwärtig und begegnet uns auf verschiedensten Wegen. Ob im Fernsehen, auf dem Smartphone, in der Zeitung oder auf Werbetafeln in der Stadt – gutes Marketing ist essenziell, um die Aufmerksamkeit möglichst vieler Menschen zu generieren. Doch was besonders im Gedächtnis bleibt, sind meist nicht die durchdachten, ästhetisch ansprechenden und aufwändigen Werbeanzeigen. Viel mehr sorgen Provokationen für Aufmerksamkeit. Werbung prägt sich ein, wenn sie Grenzen überschreitet und die Menschen schockiert sind. Viel Diskussion steigert die Popularität. Doch wo liegen bei Werbung eindeutige Grenzen?

 

Rechtliche Fakten: Das darf Werbung laut deutschem Gesetz nicht

 Um Tabus in der Werbung ausfindig zu machen, schauen wir uns als Erstes die rechtlichen Rahmenbedingungen an. Auf der sogenannten „Schwarzen Liste“ des deutschen Werbegesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) sind jegliche Werbeformen aufgelistet, die verboten sind. Zusammenfassend besagt das UWB:

 

  • Es darf keine unsachliche Beeinflussung erfolgen: Sollten Werbetreibende Verbraucher:innen auf unsachliche Art zum eigenen Vorteil beeinflussen, greift §3 UWG: das Verbot unlauterer geschäftlicher Handlungen. Dieser besagt unter anderem, dass es verboten ist, das Unwissen der Menschen auszunutzen sowie wissentlich Kapital aus Angst zu schlagen.
  • Kein aggressives Geschäftsgebaren: 4a UWG untersagt, Zwangslagen von Verbraucher:innen auszunutzen. Ein Beispiel hierfür ist, wenn ein Abschleppdienst am Unfallort Autobesitzer:innen zu einer kostenpflichtigen und rechtsverbindlichen Mitgliedschaft zwingen, bevor das Auto abgeschleppt wird.
  • Kein Verunglimpfen von Mitbewerbern: 4 UWG verbietet, Waren, Dienstleistungen, Tätigkeiten sowie persönliche oder geschäftliche Verhältnisse von Mitbewerber:innen herabzusetzen oder zu verunglimpfen. Die vermeintlich schlechte Qualität der Produkte der Mitbewerber:innen hervorzuheben, ist ebenfalls untersagt.
  • Keine Verschleierung: 5a IV UWG verbietet das Tarnen von Werbung durch sogenannte Schleichwerbung. Werbung muss immer als solche gekennzeichnet und für alle klar und einfach als solche erkennbar sein.
  • Kein Spam: Nach §7 UWG ist es verboten, Verbraucher:innen ohne ihre Einwilligung Werbe-E-Mails zu schicken oder sie zu spammen.

Werbung aus ethischer Sicht

 Laut Definition ist Ethik die Lehre bzw. die Wissenschaft vom Handeln gemäß der Unterscheidung von Gut und Böse. Nach welchen Grundwerten unterscheiden wir, was gut oder böse ist?

Jeder Mensch hat eine persönliche Vorstellung von Ethik. Deshalb gibt es hierbei nicht nur Schwarz oder Weiß. Die individuellen Werte und Normen, also die Moral, des jeweiligen Menschen definieren seine Ethik. Sie bestimmen, wie jemand handelt, Entscheidungen trifft und Situationen bewertet. Die eigene Ethik verändert sich zudem im Laufe des Lebens. Sie ändert sich, da wir Neues lernen, uns von anderen inspirieren lassen, uns weiterbilden und unseren Horizont erweitern. So ist etwas, was vor 100 Jahren für die Mehrheit der Menschen ethisch nicht vertretbar war, heute etwas ganz Normales.

Ethisch vertretbares Erscheinungsbild von Frauenkleidung im Wandel

In den 1920er Jahren durften Frauen sich nicht öffentlich freizügig kleiden. Wenn sie es taten, gab es vermehrt Spott, Lästereien und Bestrafungen. Ein zu kurzer Rock oder ein zu großer Ausschnitt war für die meisten Menschen ein No-Go. Frauen wurden stark sexualisiert und mussten sich in der Öffentlichkeit zurückhalten, um kein Aufsehen zu erregen. Einige Zeit waren Bikinis als Badekleidung verboten. Hätten wir in dieser Zeit eine Straßenumfrage gemacht und den Menschen ein Bild von einer Frau im bauchfreien Oberteil, kurzer Shorts und High-Heels gezeigt, hätten die meisten Menschen so ein Auftreten als Tabu eingestuft. Heutzutage sieht das in westlich geprägten Ländern anders aus.

     

    Ethik bestimmt Tabus und beides verändert sich mit der Zeit. Klar ist außerdem, dass Tabus von jedem Menschen anders definiert werden, da jede:r andere Werte und Normen hat.

     

    Wie finden Sie heraus, welche Werbung noch vertretbar ist und welche vielleicht über das Ziel hinausschießt?

     

    Der Pressekodex

    Eine gute Orientierung liefert der Pressekodex des Deutschen Presserats. Dort finden Sie 12 Ziffern, die ethische Standards für den Journalismus vorgeben. Dazu zählt auch die Werbung. Wichtige Richtlinien sind der Schutz der Persönlichkeit, der Schutz der Ehre, der Jugendschutz, die Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde und die Achtung von Religion, Weltanschauung und Sitte. Alle Ziffern, sowie die detaillierten Erklärungen dazu finden Sie auf der Website des Presserates.[1] Der Pressekodex sollte in jeder Marketingabteilung die Grundlage der täglichen Arbeit sein.

     

    Tabus in der Werbung: Eine Orientierungshilfe

    Im Folgenden sehen Sie eine Auflistung an Tabus in der Werbung. All diese Themen beziehen sich hauptsächlich auf die Benachteiligung von Menschen. Der einfache Leitsatz, den sich jede:r immer im Gedächtnis halten sollte, ist: WIR SIND ALLE GLEICH!

    Selbstverständlich gelten diese Tabus nicht nur für die Werbung, sondern auch für jegliche andere Bereiche des Lebens und sollten zu den Werten und Normen eines jeden Menschen gehören.

     

    Tabus in der Werbung:

    • Rassismus: Niemand sollte wegen seiner Herkunft diskriminiert werden. Hautfarbe, Sprache, Aussehen und Tradition sollten weder bewertet noch verurteilt oder lächerlich gemacht werden.
    • Sexismus: Sexualität ist bunt, wechselhaft und individuell. Diskriminierung aufgrund von Liebe und sexueller Orientierung ist nicht in Ordnung! Kein Geschlecht sollte benachteiligt, verspottet, lächerlich gemacht oder sexualisiert werden. Dazu zählen auch Sprüche wie „Echte Männer weinen nicht.“
    • Kinder: Das Jugendschutzgesetz sollte allen Werbetreibenden bekannt sein. Darüber hinaus gilt außerdem, Kinder so gut es geht zu schützen und deshalb nicht in sensiblen Momenten zu zeigen. Dazu zählen u. a. Nacktheit, Ausscheidungen und persönliche Details.
    • Benachteiligung aufgrund von Krankheit oder Behinderung: Krankheiten und Behinderungen sollten nicht diskriminiert, verurteilt, bewertet oder verspottet werden. Im Gegenteil: Es gilt sie zu enttabuisieren, denn sie sind ganz normal.
    • Religion, Weltanschauung, Sitte: Menschen haben unterschiedliche Religionen, Weltanschauungen, Sitten und dazugehörige Traditionen. All das sollte nicht bewertet, diskriminiert, verurteilt oder lächerlich gemacht werden.
    • Gewalt und Mobbing: Physische und psychische Gewalt, Gewaltverherrlichung, Waffen und Mobbing haben in der Werbung nichts zu suchen!

          Grenzüberschreitungen von Benetton bis Zara: Beispiele für Werbungen, die polarisierten 

          Benetton ist bekannt für Werbung, die mit Tabus bricht. 1992 sorgte das Unternehmen mit einem Foto des US-amerikanischen, im Sterben liegenden Aidskranken David Kirby und seiner Familie für blankes Entsetzen. Der Vorwurf: Benetton nutzt das Leid der Familie Kirby schamlos aus, um Profit zu machen. Die Familie selbst sah die großangelegte Werbeaktion als Chance, um auf die damals noch in der breiten Öffentlichkeit unbekannte Krankheit aufmerksam zu machen.

          2 Jahre später zeigt ein Foto des Fotografen Oliviero Toscani ein T-Shirt und eine Hose eines Soldaten. Die Kleidungsstücke sind blutverschmiert. Sie gehörten Marinko Grago. Der Kroate kämpfte 1994 im Bosnienkrieg und wurde dort erschossen. Nach der Veröffentlichung der Werbung für Bennetton wurde Toscani als zynisch und schamlos beschimpft.

          Ein weiteres Werbebild von Benetton zeigt flüchtige Menschen vom Hilfsschiff „Aquarius“ mit ihren Kindern. Durchgeführt wurde die Rettung von der Hilfsorganisation SOS Méditerraneée. Sie kritisierten Benetton und den Fotografen und machte deutlich, dass Kommerzialisierung von Not absolut unangebracht ist.

          Media Markt warb 2001 mit einer leicht bekleideten Frau, die drei Brüste hat. Der Slogan „Mehr drin, als man glaubt.“ Es hagelte Sexismus-Vorwürfe. Media Markt musste innerhalb weniger Tage knapp 15.000 Plakate entfernen.

          Zur Vermarktung eines Waschmittels nutzte die Firma Shanghai Leishang Cosmetics im Jahr 2016 einen stark umstrittenen Werbespot. Im Spot flirtet eine Asiatin mit einem schwarzen Mann, winkt ihn zu sich und steckt ihn in eine Waschmaschine. Raus kommt dann ein hellhäutiger Asiat. Nach zahlreichen Rassismusvorwürfen entschuldigte sich die Firma und der Spot wurde zurückgezogen.

          Die Modekette H&M hatte im Jahr 2018 einen Pullover im Sortiment, auf dem übersetzt „Coolster Affe im Dschungel“ stand. Auf dem Werbebild im Onlineshop trägt ein schwarzer Junge den Pulli. Weltweit sorgt das Bild für Empörung, woraufhin H&M die Werbung zurückzog.

          Die bekannte Modekette Zara sorgte 2014 mit einem Shirt für Kleinkinder für viel Aufruhr. Das gestreifte Shirt mit einem gelben Stern auf Höhe der linken Brust erinnert an Kleidung von KZ-Häftlingen. Zara entschuldigte sich und entfernte das Shirt aus dem Handel. Laut Zara sollte das Shirt an Western-Filme erinnern.

          Alte Tabus brechen

          Doch trotz all dieser Tabus ist es manchmal auch wichtig, veraltete Tabus zu brechen. Wir leben in einer Zeit, in der viel möglich ist und über noch viel mehr gesprochen werden darf (und soll!), als es noch vor einigen Jahrzehnten der Fall war. Es gibt wichtige Themen, die in unserer Gesellschaft viel mehr thematisiert gehören und deshalb enttabuisiert werden sollten. Dazu zählen:

           

          1. Psychische Krankheiten: Vor einigen Jahren war es noch ein Tabu, über psychische Erkrankungen zu sprechen. Sich einzugestehen, dass man eventuell psychische Probleme hat, war sehr schwierig. Psychische Erkrankungen wurden als „unnormal“ bezeichnet und entsprachen nicht der Norm. Therapie oder psychiatrische Einrichtungen wurden belächelt oder gar schlecht gemacht. So gab es auch die gesellschaftlichen Tabus, über Gefühle oder gar psychische Probleme (öffentlich) zu sprechen. Dies soll und darf nun anders laufen. Psychische Erkrankungen sind nichts, worüber man sich schämen sollte. Im Gegenteil: Es ist ganz normal und muss in unserer Gesellschaft endlich enttabuisiert werden. Gleiches gilt für körperliche Erkrankungen und Behinderungen.
          1. LGBTQIA+: Für viele ist Homosexualität und Transidentität immer noch ein Tabu. Etwas, was nicht „natürlich“ sei und gesellschaftlich nicht gern gesehen wird. Doch Fakt ist: Liebe ist für alle da. Wer wen liebt, unabhängig vom Geschlecht, sollte niemals diskriminiert werden. Es ist ebenfalls normal, sich seinem biologisch zugewiesenen Geschlecht nicht zugehörig zu fühlen. Oder sich mehreren Geschlechtern zugehörig zu fühlen. Alles kann, nichts muss. Und diese Freiheit ist in vielerlei Augen noch sehr befremdlich und sogar ein Tabu. Auch hier müssen wir die Tabus brechen und diese Themen häufiger aufzeigen und zur Normalität werden lassen.
          1. Frauen: Der Feminismus existiert seit vielen Jahrzehnten und hat sehr viel bewegt. Dennoch sind Frauen heutzutage leider immer noch nicht gleichberechtigt. Im Gegenteil: Die normalsten und natürlichsten Themen sind häufig noch ein gesellschaftliches Tabu. Dazu zählen vor allem die Menstruation, Körperbehaarung, Kleidung, Schwangerschaft, Geburt, Stillen und die Wechseljahre. Es gibt noch viel zu viel Unwissen und Falschwissen in diesen Themenbereichen, weil darüber viel zu wenig gesprochen wird. Es sollte kein Tabu sein, über seine Menstruation zu sprechen. Aber warum wird in Werbungen für Periodenprodukte nie rote Farbe für Periodenblut verwendet, sondern häufig blaue? Ein weiteres Beispiel für Tabus, die gebrochen werden sollten, ist das Stillen in der Öffentlichkeit. Wenn eine Frau stillen kann und möchte, darf sie das überall und immer tun. Fakt ist: Frauenthemen sind viel zu häufig noch tabuisiert. Deshalb bitte: Wenn Sie einen Rasierer bewerben, zeigen Sie die Leistung des Rasierers doch mal an beharrten Beinen, anstatt die geschmeidig glänzenden glatten Beine?

          Fazit

          Abschließend lässt sich festhalten, dass Tabus immer abhängig von den individuellen Werten und Normen des jeweiligen Menschen sind. Darüber hinaus sind sie abhängig von Generation, Zeit, Traditionen, Weltanschauungen und Religionen. Was in unserer westlichen Welt als Tabu gilt, ist an anderen Orten der Welt möglicherweise ganz normal. Für Werbetreibende empfiehlt es sich, den Pressekodex zu studieren und in den Diskurs zu gehen. Überlegen Sie sich, wie wichtig Ihnen eine polarisierende Werbung wirklich ist und zu welchem Preis sie über die Stränge schlagen. Manchmal sollten Tabus gebrochen werden. Doch manchmal hilft es, einen Gang runterzuschalten und die Sache ethisch zu bewerten. Die obengenannten 6 Punkte sollten unserer Meinung nach niemals verwendet werden. Ob es dabei Grauzonen gibt, ist eine individuelle Einstellung. Halten Sie sich selbstverständlich an die Gesetze, um Abmahnungen und weitere gerichtliche Konsequenzen zu vermeiden.

          Benötigen Sie Unterstützung bei der Entwicklung einer geeigneten UGC-Strategie? 

          Kontaktieren Sie uns noch heute!

          WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner